Der Bildschirm ist leicht abgedunkelt, das Computerspiel scheint pausiert. Unter den halb heruntergelassenen Jalousien wiegt kein blonder Kopf hin und her, der Spieler macht Pause. Auf den Vorhängen zwei Fenster weiter bewegen sich die Schatten zweier Figuren, stehend, Mann und Frau, letztere geschäftig hin und her laufend. Parallel darunter kriecht der Downloadbalken für die Videodateien von der Kamera auf meinem Bildschirm. Ich könnte mich nicht beschweren, vier Menschen haben heute eine Stunde ihrer Freizeit für meine Idee geopfert. Traurige deutsche Lieder dröhnen aus dem Zimmer meines Bruders und während ich die Lieder höre, die mein Herz wieder für eine vergehende Liebe erwärmen, taucht der Spielerkopf wieder im Fenster auf. Er ist auch Brillenträger. Er geht vor mir schlafen, zumindest ist es in dem Zimmer dunkel bis ich schließlich meine Gedanken soweit geordnet habe, dass ich mich den Träumen hingeben kann. Es ist schwer, mich in sie fallen zu lassen, wenn sie schon Gedanken zu Wünschen, Gleichgültigkeit oder einfache Sympathie zu einem brennenden Feuer in mir gemacht haben, das am Ende nur Teile meiner selbst verschlungen hat, doch im Zustand des Schlafes vermag ich nicht, ihnen zu misstrauen. Ich brauche sie, und das ist ein einseitiges Verhältnis – sie spielen mit meinen tiefsten Empfindungen und wühlen darin wie in einer Sockenschublade. Meine Träume sind nicht von der Art, die Oberflächlichkeit ergreift, sie zerren zuvor unsichtbare Gedanken aus meinem Inneren, sie häuten sie und hängen sie an die Wand, sie basteln Taschen und Gewand und binden mir damit die Augen zu, sie baden mich in der Hoffnung und stoßen mich daraufhin aus dem Fenster, dass ich auf dem Boden zerbreche, in tausend Scherben die mich den ganzen wirklichen Tag begleiten, alles zerkratzen, an Menschen vorbeischrammen und sie von mir fern halten. Albträume bergen nur surreale Angst, aber diese Träume bergen Gefahr in der Wirklichkeit.
Es verändert mich, zu wissen dass er hier ist, zum Greifen nah. Ich dachte ich hätte abgeschlossen, niemand versteht so ganz, warum ich immer noch so empfinde wegen scheinbar nichts, ich auch nicht. Alleine fahre ich nach Hause, ich bin früher gegangen. Alle Erinnerungen stürzen wieder auf mich, das Kribbeln im Bauch, sein Name ziert die ganze Stadt und jeden meiner Schritte. Wie kann so etwas überhaupt passieren. Ich schlittere auf dem vereisten Gehsteig, so unsicher wie ich auf seinem abweisenden Verhalten, drohe ich jederzeit abzurutschen. Von selbst beginnt meine Vernunft mit meinem Gefühl zu diskutieren, ich höre nicht hin, muss mich auf den Weg konzentrieren.. Zu spät. Spitze Steine und Schnee lassen meine Finger erstarren, ich denke nicht nach und gehe weiter, mein Herz bedrängt von allen Seiten. Nur noch nach Hause in die Stille, wo ich niemanden treffen kann, niemanden sehen. Obwohl sich mit dem Internet eine Falle einschleicht habe ich Frieden, ich werde ihn mir auch nicht selbst zerstören außer mit meinen Gedanken. Sie rattern weiter, von dem Moment als ich den Schlüssel unten in die Haustür stecke bis zu dem Moment in dem ich in die warme decke krieche, meine prallen, kalten Schenkel mit Hass betrachte. Jetzt kommt der Moment an dem ich meinem Aussehen die Schuld an jedem Verlust in meinem Leben gebe, es mir leicht mache, dessen ich mir bewusst bin, was meinen Selbsthass jedoch nur verstärkt. Das Rad dreht sich weiter, das selbe alte Rad in dem ich schon Jahre gefangen bin. Es ist als hätte man mir ein Fenster mit den schönsten Dingen gezeigt, Gefangene meiner selbst blickte ich durch seine Augen mit Hoffnung auf ein neues Leben, doch dann schließen sie sich plötzlich und ich laufe und laufe, drehe mich und finde das Fenster nicht. Warum kann ich mich nicht selbst befreien? Das Leid und den Spott stoppen? Das Rad zerstören und frei sein? Ich möchte es so sehr. Doch was man möchte, bekommt man selten, so viel habe ich schon gelernt.
So stand ich wieder einmal am Hauptbahnhof, Soft Cakes in der einen und Schafmilch in der anderen Hand und tanzte zu "Give love another try". Ich habe in diesem Studium mehr physikalische Gesetze gelernt als in den zwei Monaten Physikstudium, eines davon lautet "Wenn man ihn gerade vergessen hat, begegnet man ihm. Und zwar wird er plötzlich ohne Vorwarnung direkt vor einem stehen." Und so stehe ich da und frage mich tausend Dinge, abwechselnd von der Melodie des Liedes getragen, und in ein tiefes Loch fallend, in dem alles hinterfragt wird. Wie kommt es, dass ich so viele Jahre auskam ohne Schmetterlinge im Bauch? Wie kommt es, dass es jetzt nicht mehr geht? Die Unabhängigkeit, die Unberührtheit von der Existenz einer anderen Person, eine Stärke oder eine Schwäche? Was solls, ich werde nicht gefragt ob es mir Recht ist. Ich bin bloß ein Spielstein der Götter.